„Bildungsstart nach Corona“ – Was jetzt gebraucht wird: 1 Milliarde plus X für ein Sonderprogramm Lern- und Bildungshilfen

Ein Jahr lang umfassender Unterrichtsausfall an den Schulen, ein mühsamer Aufbau von Home-Schooling und schwierige häuslichen Lernbedingungen etwa infolge von Raumknappheit oder fehlender digitaler Endgeräte: Die Auswirkungen der Corona-Pandemie haben für viel zu viele Kinder und Jugendliche zu massiven Wissens -, Lern- und Bildungslücken geführt, von den sozialen und emotionalen Einschränkungen und Einbrüchen ganz zu schweigen. Da hilft keine Schönfärberei und kein Drumherum reden. Die Corona-Krise könnte tief einschneiden in Geist und Seele von Kindern und Jugendlichen und das Zusammenleben in den Familien.

Foto: Susi Knoll Bild: Foto: Susi Knoll

Soweit sich genauere Feststellungen jetzt schon bei geschlossenen Schulen und Ferndiagnosen treffen lassen, gehen Experten aus der Schulpraxis bis zum Kinderschutzbund davon aus, dass 20 bis 25 Prozent der 10,9 Millionen Kinder und Jugendlichen in den Schulen bedeutsame Lernlücken aufgebaut haben, die sich auch nicht von selbst wieder abbauen. Bei allem großem Engagement von Lehrkräften und Eltern darf man hiervor nicht die Augen verschließen. Auch die Bundes – Bildungsministerin und die Kultusminister – Konferenz lassen sich zunehmend auf diese kurz -, mittel- und langfristigen Fragen ein, nachdem sie sich vorrangig und lange immer wieder mit dem Krisenmanagement auseinander setzen mussten. Wenn auch sehr holprig, so sind die zusätzlich verfügbar gemachten 1.5 Milliarden des Bundes on top auf die 5 Milliarden aus dem Digitalpakt 2019 – 2024 für die Digitalisierung an den Schulen in der Umsetzung. Da hat unsere SPD – Parteivorsitzende Saskia Esken mit der Bundeskanzlerin im letzten August ein echtes Zeichen gesetzt. Die Endgeräte für die Schulkinder und Jugendlichen sind zwischen den Bundesländern zwar ungerecht, weil nicht nach Bedarf verteilt, aber sie sind immerhin bei den Schulen zur Verteilung und zum Einsatz angekommen. Auch die Notfallhilfe für die Kinder in den Bedarfsgemeinschaften in Höhe von 350 Euro ist auf Initiative der SPD endlich beschlossen und durchgesetzt. Die 500 Milliarden für die Administratoren der Schuldigitalisierung in den Kommunen ist zugewiesen und kann jetzt besetzt werden. Und auch für die 500 Millionen für die Geräte bei den Lehrkräften gibt es eine Verwaltungsvereinbarung.

Was bleibt, sind jetzt als nächste Schritte:

1) Konsequente umfassende Testungen an den Schulen für Schülerschaft, Lehrkräfte und weitere Mitarbeiterschaft und zügige Impfung für die Erwachsenen. Auch an einem Impfschutz für die Kinder muss mit höchster Priorität geforscht werden. Dass die Lehrkräfte in der Impfpriorität nach oben gezogen worden sind, verdeutlicht die große Priorität für die Kinder und Jugendlichen in den Kindertagesstätten und den Schulen. Es ist eine Solidarleistung der ganzen Gesellschaft und der ganzen Wirtschaft für die Kinder, Jugendlichen und Familien. Das muss ausdrücklich anerkannt werden.

2) Angesichts der mühsamen Unterrichtslage an Schulen und Millionen von Kindern und Jugendlichen mit starken Bildungsnachteilen braucht es dringend ein Begleitprogramm zur Unterstützung der Lehrkräfte und zur Entlastung der Familien und ein Förderprogramm nach Corona. Ich bin hier als Vorsitzender des Bundestagsausschusses für Bildung und Forschung schon im Februar mit der Forderung nach einem Sonderprogramm „Bildungsstart nach Corona“ auch öffentlich in die Offensive gegangen. Meine Forderung war und ist, hier nicht zu kleckern, sondern zu klotzen. 1 Milliarde plus x muss mindestens der Betrag sein, den Bund und Länder hierfür mobilisieren. Denn dann käme man bei 25 % aller Kinder und Jugendlichen auf einen Betrag von rund 330 Euro – nicht sehr viel, wenn es um Bildungsförderung geht, aber immerhin eine ganze Menge Geld, mit der man in der praktischen Umsetzung etwas Vernünftiges anfangen kann. Von Zusatzstunden am Nachmittag, Samstags-Angeboten, Nachhilferunde in Lerngruppen, individuellen Nachhilfestunden, Wochenend-Seminare, Ferienakademien. Und nicht zu vergessen: Elternsprechstunden und Elternberatung, Verstärkung von Erziehungsberatung und psychologischen Hilfen. Diese Forderung nach einer Milliarde plus x hat mittlerweile Beine bekommen, in den Debatten im Parlament, auch die Bildungsministerin in Schleswig – Holstein hat sich dem eilfertig angeschlossen, die Kultusministerin – Konferenz verhandelt mit der Bundesbildungsministerin und es gibt auch erste sehr konkrete Vorschläge.

Die Zusammenarbeit von der Bundesebene und der Landesebene in Schleswig-Holstein war hierbei im Übrigen ausgesprochen gut und sehr konkret. So hat die SPD – Landtagsfraktion auf Initiative von Martin Habersaat und den Schulpolitikern zusammen mit dem SSW Vorschläge gemacht, die man nur begrüßen kann. Und selbst wenn diese erst einmal von CDU, Grünen und FDP im Landtag abgelehnt worden sind, wage ich die Prognose, dass am Ende alle Parteien genauso auf solche sozialdemokratischen Ideen zurückkommen werden. Für die Sache und die Kinder und Jugendlichen soll es uns nur recht sein.

a) Unterstützung durch Lehramtsstudierende, Lehrkräfte im Ruhestand, Dozenten der Volkshochschulen und andere geeignete Personen, um personelle Engpässe zu bewältigen und um übermäßige Belastungen abzumildern, die durch den Ausfall von Lehrkräften, durch die Mehrfachbelastung von Distanz- und Wechselunterricht und parallel stattfindender Notbetreuung, ständiger Überarbeitung der Stoffverteilungspläne und der Unterrichtseinheiten je nach Pandemiegeschehen oder aus anderen Gründen entstehen.

b) Verfügungsfonds an den Schulen für die Einstellung von zusätzlichem Personal und die Durchführung weiterer Maßnahmen. Die Schulen wüssten dann konkret, womit sie rechnen können, könnten ihre Planungen verlässlich angehen und dabei auf spezifische Herausforderungen und Möglichkeiten vor Ort reagieren.

c) Bedarfsgerechte Hilfen bei kostenpflichtigen Unterstützungsangeboten für Schülerinnen und Schüler. Spätestens zu den Abschlussprüfungen hin machen viele Familien mit diesen Angeboten Bekanntschaft. Die Unterstützung durch solche Angebote muss aber nicht der privaten Initiative und dem privaten Geldbeutel überlassen bleiben. Das Land Bremen etwa kooperiert seit Jahren mit dem Anbieter „Sofatutor“, der vor allem Lernvideos, Arbeitsblätter und 1:1-Chats mit Lehrkräften anbietet.

3) Hier stehen Bund und Länder einmal mehr wirklich gemeinsam in der Verantwortung. So wie sie es auch bei der Digitalisierung und beim nachhaltigen Auf- und Ausbau von guter Ganztagsbetreuung und guter Ganztagsschule tun. Da ist die politische Praxis allerdings schon weiter als es das Grundgesetz bisher eigentlich zulässt. Auch deshalb haben Martin Habersaat und ich schon früh einen neuen Vorstoß in die Diskussion gebracht, das Grundgesetz so zu ändern (in seinem § 91), dass die Förderung der Bildung eine echte Gemeinschaftsaufgabe von Bund und Ländern ist. Das hatten wir schon einmal und es hat die Bildung in Deutschland an Schulen und Hochschulen stark befördert und nach vorne gebracht, bis das unselige Kooperationsverbot hier einen Riegel vorgeschoben hat. Nachdem wir diese Regel in den letzten Jahren schrittweise auf Initiative der SPD wieder aufgebrochen haben, braucht es jetzt noch einen weiteren, einen großen Schritt nach vorn. Hoffen wir, dass die verbalen Ankündigungen auch aus der CDU nicht nur schöner bundesweiter Vorwahl – Schein sind. Der Rückhalt, den die SPD hier in Schleswig – Holstein im Landtag hat, ist jedenfalls schon einmal ein starkes Zeichen und macht Mut.

 

Ernst Dieter Rossmann